Tag 1 stand zumindest technisch gesehen ganz im Zeichen des ersten Panels SCHEITERN. Über Nacht sind Beamer und Tonanlage ausgefallen, sodass wir improvisieren mussten. Inhaltlich lief jedoch alles nach Plan.
Zum Symposium-Auftakt hielten Bill Wei und Cornelius Holtorf einen Workshop mit dem Fokus auf der Diskrepanz von Nachhaltigkeit – Erhalten und Veränderung. „Welchen Teil unserer Kultur und unseres Lebens dürfen wir auch für Nachhaltigkeit nicht aufgeben?" und „Was ist wichtiger als Nachhaltigkeit und darf auf gar keinen Fall grundlegend verändert werden?" waren die zentralen Fragen. Allerdings ging es primär nicht um eine direkte Beantwortung der Fragen, sondern um den Prozess, der hinter der Antwort steht. Zu einem nachhaltigen Erkenntnisgewinn kamen die zwei Workshop-Gruppen durch die Sokratische Methode, die allen genügend Zeit und einen geschützten Raum gab. Die Workshop-Leiter waren zufrieden: „Es hat alles gut funktioniert. Genauso, wie wir es geplant hatten."
PANEL SCHEITERN
Vom Menschen geschaffen – zum Scheitern verurteilt? Im Panel SCHEITERN ging es um die Konsequenzen von Wertschöpfung und deren Auswirkungen. Unsere Referent:innen gaben Einblicke in die Diskrepanz von grandioser Außendarstellung und prekärer Realität, Innovation und Komplikation sowie Konversionen des Atomzeitalters.
Den Anfang des Panels machte Stefan Rettich, Architekt und Professor für Städtebau, und seiner Definition einer strahlenden Zukunft. In seiner Buchpräsentation nahm er die Teilnehmenden mit durch die Geschichte der Kernenergie und deren Rückbau. Anschaulich erklärte er die Technologien hinter allen deutschen Leistungsreaktoren und wechselte mit einem Fotoessay des Zeitzeugen Günter Zinn die Perspektive zur Protestkultur.
Scheitern oder nicht scheitern – Lukasz Lendzinskis Beitrag war geprägt von den Höhen und Tiefen seiner eigenen Erfahrung mit innovativen Projekten. Anhand des Info Pavillon auf den Magellan-Terrassen veranschaulichte der Tischler und Architekt Momente des drohenden Scheiterns und seinen Umgang damit. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Neuorganisation, Re- und Upcycling-Prozessen, die es bis dato noch nicht gab. Sein Fazit: „Wir sind nicht gescheitert, haben alle Hürden bis zur Realisierung genommen.“ Der Info Pavillon steht in der HafenCity Hamburg und kann vom 3. Mai bis 31. Juli im Rahmen des Hamburger Architektursommer 2023 besucht werden.
Wie hoch muss die Opferbereitschaft von Kulturschaffenden in Hamburg sein? Diese Frage stellte das Publikum dem Jens Gottschau Mitbegründer der Hanseatischen Materialverwaltung während seines Gesprächs mit Florian Schreiter. Die Antwort: Auch bezahlte Arbeit zieht immer ein gewisses Maß an Opferbereitschaft mit sich, insbesondere wenn sie nicht ausreichend gefördert wird. Damit das Projekt in einem möglichst guten Licht dasteht, gingen ehemalige Mitglieder der Hanseatischen Materialverwaltung auch über ihre Grenzen hinaus und schlitterten vereinzelt ins Burnout. Nachhaltigkeit? Fehlanzeige.
Tag 2 – PANEL ANGST & HEDONISMUS
Hedonismus und Nachhaltigkeit – passt das zusammen? Unsere Referent:innen sagen"ja". In drei spannenden Beiträgen haben sie uns zum Start an Tag 2 durch die (klanglichen) Höhen und Tiefen gelotst.
Den Anfang machte Kay-Dennis Boom mit „Lernen im Spannungsfeld der Emotionen” und schilderte, worauf es beim nachhaltigen Lernen ankommt: Emotionen sind immer mit einem gewissen Grad an Arousal oder Erregung verbunden, wobei weder zu wenig noch zu viel davon für das Lernen förderlich ist. Damit Lernen gelingt, muss ein optimales Level emotionaler Erregung vorhanden sein. Das heißt, es muss eine angstfreie, aber ebenso auch anregende Atmosphäre geschaffen werden. Dabei spielen Autonomie im Handeln, das Gefühl kompetent zu sein und das Gefühl der Zugehörigkeit eine zentrale Rolle. Rigide Notengebung und fabrikhaft gebaute Schulen hemmen den Lernprozess; Prüfungsangst und Reizarmut sind Alltag. Genau an diesem Punkt zeigt sich, dass Lehrkräfte auch in Zeiten der Digitalisierung längst nicht obsolet sind: Sie haben die verantwortungsvolle Aufgabe, eine positive und wohlwollende Lernatmosphäre zu gestalten.
„Wofür brauchst du eigentlich den Dancefloor?”, warf Hanna Mauksch in die Runde und blickte in verdutzte Gesichter. Die Teilnehmenden waren sich jedoch schnell einig: Abschalten, vergessen, Leute auf einer anderen Ebene treffen. Warum also die Clubs nicht gleich nachhaltig gestalten und als Innovationsorte nutzen? Für Mauksch ist Klimaschutz auch Handarbeit. „Es ist immer gut, in dem Kontext auch konstruktiv Kritik zu geben. Es ist gut, wenn wir Sachen diskutieren und auch kritisch empfinden, aber noch besser wäre es, ein Angebot zu schaffen und Lösungen zu finden.”
Sebastian Weiner schließt das Panel mit intellektuellen Fragestellungen, die er musikalisch untermalt und die Teilnehmenden auf eine Gedankenreise mitnimmt: „Die Forderung der Nachhaltigkeit enthält ein moralisches Sollen und macht uns so ein latent schlechtes Gewissen. Und Gewissensbisse beißen. Sie stehen dem guten Leben entgegen, daher gehen wir aus Selbstschutz vor dieser Bedrohung selbstgerecht vor: wir rechtfertigen unser Handeln, relativieren es oder blenden die Konsequenzen aus. Das kann ziemlich irreführend sein. Wie wäre es, wenn wir stattdessen unser Handeln kultivieren und darüber nicht nur zu einem Umdenken kommen, sondern vielmehr noch zu einem Lebensgefühl, weil Kultivierung Freude bereitet? Und was wäre, wenn wir damit eine Mode auslösten, indem Andere unsere Kultivierung nachahmen? Vielleicht wäre dies ein erfolgreicherer Weg hin zu den Zielen der Nachhaltigkeit.“
PANEL NIMBY
Ein neues nachhaltiges Quartier mit Begegnungsstätten für alle Anwohnenden? Ja bitte, aber nicht vor meiner Haustür! Im Panel NIMBY (engl. Not In My Backyard) erörterten Architekturschaffende und Urbanist:innen anhand realer Beispiele die Ambivalenz von Bejahung und gleichzeitiger Ablehnung städtebaulicher Prozesse im eigenen Umfeld.
Was hat nachhaltiges Leben mit partizipativen Prozessen zu tun? Dieser Frage ging Tina Unruh in ihrem Vortrag „Nah und weit? Oder fern und eng? Dimensionen nachhaltiger Planung". auf den Grund. Schnell wurde klar, dass eine nachhaltige Planung von Räumen immer mehrere Perspektiven erfordert und im Idealfall auch die der Nutzer:innen einbezieht. Doch auf dem Weg sehen sich die Beteiligten nicht selten mit Ängsten und Spannungen konfrontiert. Gehen die Meinungen zu weit auseinander, weichen die Pläne von Altbekanntem ab, entstehen bei potenziellen Nutzer:innen und in Gremien Kontrollverluste. Entscheidungen werden blockiert. Auch die Angst vor zu viel Nähe spielt eine große Rolle. Während wir jedes Detail unserer Lieblingsstars erhaschen wollen, gehen die meisten zu ihren Nachbarn auf Distanz, damit erst gar keine Erwartungen an das eigene Handeln entstehen. Um das zu ändern und in eine Kultur des Handelns zu kommen, bedarf es laut Unruh eigene Ressourcen und vor allem das Wissen über die eigene Wirksamkeit. Insgesamt zeigte Unruh deutlich, dass nachhaltige Planung nicht auf die technische Umsetzung von emissionsreduziertem Bauen beschränkt ist. Denn: „Räume prägen Menschen und prägen auch ganz klar die Beziehungen zueinander."
Schöner, besser, bunter, nachhaltiger – dass nicht alle Ideen von Architekten:innen und Planer:innen in der Nachbarschaft auf Gegenliebe stoßen, wusste auch Urs Kumberger aus eigener Erfahrung zu berichten. In seinem Beitrag plauderte er aus dem Nähkästchen seiner eigenen Projekte. Ob Parkplatzfragen, städtebauliche Verfahren im Spannungsfeld von Kleingärtner:innen und Pfadfinder:innen oder Zuständigkeitsgerangel bei der Nachverdichtung: Kumberger schilderte anschaulich, dass es viele Fettnäpfchen und Fallstricke bei der Planung gibt und meistens nicht das Ob, sondern das Wie im Mittelpunkt steht.
PANEL KRISEN
Erderwärmung, Überfischung und Schaukelprozesse: Im Panel KRISEN gaben die Referent:innen Einblicke in zivilen Ungehorsam, künstlerische Proteste und die Aneignung von Krisenkompetenzen in der Stadtentwicklung.
Den Anfang im machte Nana Grüning, Molekularbiologin. Grüning hält es nicht mehr für ausreichend, ihre Zeit und Energie auf ihre normale Arbeit zu konzentrieren. Weil die Klima- und Biodiversitätskrise jeden Lebensbereich betrifft, fordert Grüning Wissenschaftler:innen aller Disziplinen auf, ihre Sorgen, Ängste und Wut auf die Straße zu tragen. „Wir drehen die Erderhitzung gerade zurück in eine Zeit, in der es noch nicht mal unsere Vorfahren gab“ erklärte die Molekularbiologin anhand mehrerer Prognosen. Ihrer Meinung nach müssen Wissenschaftler:innen sich von ihrer Neutralität lösen und aktiv Stellung beziehen, um ernst genommen zu werden. Dazu gehöre auch das Brechen sozialer Normen und Regeln. „Früher war das eine totale Horrorvorstellung, mal vor Gericht zu stehen. Ich dachte, dann ist mein Leben zu Ende.“ Mittlerweile sehe Grüning ihrer ersten Verhandlung dank guter Vorbereitung und neuem Skillset gelassen entgegen.
„Wir leben im Zeitalter der multiplen Krisen und können eigentlich nicht wirklich kontrollieren“, stellte Gabriel Bartl in seinem Vortrag „Ökologische Nachhaltigkeit zwischen Evidenz und Kontroverse" fest und fragte, wie wir ökologischen Herausforderungen begegnen können. "Follow the science" alleine reiche nicht aus, da wissenschaftliche Erkenntnisse zwar wichtig, aber nicht universell gültig seien, werden sie von gesellschaftlichen Wahrnehmungen und Strukturen beeinflusst. Am Beispiel der Pandemie machte Bartl die Bedeutung von Wissen in Krisen deutlich und zeigte dessen Ambivalenz auf: „In Krisen sind wir auf Wissen als zentrale Ressource angewiesen.“ Doch das Wissen sei auf der gesellschaftlichen Handlungsebene nicht immer eindeutig. Wer darf sich in politische Beratungen mit einbringen und wer nicht? Nicht selten stünden sich hier Natur- und Sozialwissenschaftler:innen gegenüber. So wurden beispielsweise soziale Kollateralschäden am Anfang der Pandemie nicht mitgedacht. Bei einer demokratisch legitimierten Politik der Nachhaltigkeit liege laut Bartl jedoch der Schlüssel in kontroversen Diskussionen und Verständigungen, die die Heterogenität an Interessen, Bedürfnissen und Zielen berücksichtigt.
Yvonne Siegmund lotete in ihrem interaktiven Vortrag zu Krisenkompetenzen die Grenzen von Planbarkeit in der Stadtentwicklung aus und fokussierte sich auf die Komponente Mensch. Für Siegmund stellte sich im Zuge ihrer Dissertation die Frage, wie es sich planen lässt, wenn die Zukunft offen ist. Sie beleuchtete die Kreativquartiere Oberhafen in Hamburg und Labor in München, bei denen Planung und Nutzung gleichzeitig stattfinden. „Was mich am meisten interessiert, aber auch irritiert hat bei meiner Forschung, waren die Menschen“, gab sie offen zu. Da die Quartiere partizipativ entwickelt wurden, wichen bauliche Themen in den Hintergrund und Kommunikation, Koordinierung und Kooperation in den Vordergrund. Was genau passierte, als Planende auf Impulsgebende, Kreative und Koordinierende trafen und warum der Buschfunk eine wertvolle Ressource sein kann, demonstrierte Siegmund mit einer performativen Interviewcollage. Das Fazit: Ohne Zumutungen gibt es keine nachhaltige Transformation.
Zum Panel-Abschluss drehte sich alles um eine Frau mit einem Fisch vor der Brust: 1,55 Meter groß und aus Eichenholz mit einer Kettensäge gefertigt: Die Skulptur „Voice of the Fish” von Jared Bartz ist Sinnbild gefährdeter Arten und des Naturschutzes. Entstanden ist die Idee in Zusammenarbeit mit Valeska Diemel, Referentin für Fischerei-Politik vom BUND Meeresschutzbüro in Bremen. Diemel, die sich hauptberuflich mit Fangquoten beschäftigt, hatte das Gefühl bei ihrem täglichen Geschäft gegen die Überfischung der Meere den Blick für das Große und Ganze zu verlieren und war auf emotionaler Ebene nicht mehr glücklich. „Deswegen habe ich den Kontakt zur Kunst gesucht“, erklärte sie, und in Jared Bartz, einem innovativen Bildhauer, der sich auf die Bearbeitung mit der Kettensäge spezialisiert hat, den richtigen Partner gefunden. Die Skulptur „Voice of the Fish” ist innerhalb von vier Monaten durch fünf europäische Länder gereist – von der Ostsee vor Kiel bis nach Portugal. Dort wurde sie verabschiedet und als symbolischer Hoffnungsschimmer für Schutzgebiete und Renaturierung in ihren „natürlichen Lebensraum entlassen.” Wichtig war Diemel bei allen Stationen der Kontakt zu heimischen Fischer:innen und Künstler:innen, um durch die gemeinsame emotionale Verbindung zum Meer Lösungen zu finden.
PANEL ILLUSIONEN - Tag 3
Tag 3 ließ gleich zu Beginn mit dem Panel ILLUSIONEN die ein oder andere Seifenblase platzen: Ob Kryptowährungen, die pro Jahr mehr Strom als ganz Schweden verbrauchen oder die Filmindustrie, die bürokratische Schlupflöcher sucht, um bequemer ans Set zu kommen.
In seinem Vortrag zu Kryptowährungen gab Daniel Demmler eine kurze technische Einführung in Blockchains und erklärte den Unterschied zwischen digitalen Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum. Anders als traditionelle Währungen bieten sie Privatsphäre und Anonymität bei Transaktionen und ermöglichen es Menschen, grenzüberschreitend ihre Finanzen zu regeln. Kryptowährungen werden für viele Projekte genutzt, die Fortschritt in verschiedenen Bereichen bringen. Doch Demmler wusste auch um die Nachteile: Der Wert kann stark schwanken und es gibt Sicherheitsrisiken. Auch in puncto Nachhaltigkeit schneiden die Kryptowährungen eher schlecht ab. Prognosen zufolge soll Bitcoin Mining dieses Jahr 141 Terrawattstunden Strom verbrauchen; ähnlich viel wie der Gesamtverbrauch in Malaysia oder Schweden vor zwei Jahren.
Wie es mit Nachhaltigkeit in der Film- und Fernsehbranche aussieht, diskutierte Rike Steyer, Greeen Consultant Film und TV, mit Pheline Roggan, Schauspielerin, Andrea Schütte, Geschäftsführerin & Produzentin TamTam Film und Josef Brandl, Szenenbildner, Autor & Regisseur. Trotz der expliziten Verankerung von Nachhaltigkeit im Filmfördergesetz und der Einführung des Nachhaltigkeitslabels „Green Motion“ desillusionierte Steyer die Teilnehmenden gleich zu Anfang: „Ein durchschnittlicher Tatort-Film hat tatsächlich einen Fußabdruck von 50 Tonnen CO2.“ Neben der ökologischen Ebene nahmen die Referent:innen auch die ökonomischen und sozialen Bedingungen unter die Lupe. Angefangen beim Drehstart und der Frage, wie die Crew ans Set kommt – Bahn oder Flugzeug – bis zum Ende einer Produktion kamen systemische Absurditäten zum Vorschein. So übersteigen beispielsweise die Lagerkosten für alte Filmsets das Budget; Wegwerfen ist schlichtweg günstiger. „Wir sind eine Branche, die ausgebeutet wird“, stellte Schütte klar. Das spiegelt sich auch in den Arbeitszeitmodellen wider. Während für andere Branchen die 4-Tage-Woche zum Standard gehört, bedeutet Filmarbeit immer unregelmäßige Projektarbeit, die gerade mit Kindern zum Problem werden kann. Einzelne Interessen gingen so oft unter. Besonders in einem Punkt sind sich die Referent:innen einig: Bevor Nachhaltigkeit flächendeckend in der Film- und Fernsehbranche implementiert wird, bedarf es Transformationsprozesse im Mindset.
In einem Kurzvortrag berichtete Gunter Weidenhaus über die Kehrseite von nachhaltigen Sanierungsmaßnahmen. Ein angespannter Wohnungsmarkt ist in vielen deutschen Städten die Norm und Altmieter:innen werden oftmals verdrängt. Um dies zu verhindern, reguliert der Gesetzgeber Mieterhöhungen. Im Namen des Klimaschutzes ließe sich dies jedoch umgehen. Die energetische Sanierung kann anteilig auf die monatliche Miete umgelegt werden. So sparen beispielsweise Mieter:innen am Prenzlauer Berg monatlich 70 Euro Betriebskosten, müssen aber 250 Euro mehr Miete zahlen. Hier sei die energetische Sanierung lediglich ein Vorwand zur Mieterhöhung und das Vorgehen keine Seltenheit mehr. „Die energetische Sanierung ist das Mittel der Wahl für Renditesanierung, Verdrängung von Mieter:innen und Gentrifizierung“, fasste Weidenhaus zusammen.
Imke Franzmeier setzte sich in ihrem Vortrag „Publish or Perish: Ressourcen in der Wissenschaft“ mit dem Umgang der Wissenschaft mit personellen, institutionellen und inhaltlichen Ressourcen auseinander. Das Dogma „publish or perish“ setze Forschende unter Druck, möglichst viel zu publizieren und dadurch ihre Karrieremöglichkeiten zu verbessern. Diesem Druck seien auch Geldgeber und Förderprogramme ausgesetzt, die thematisch passende und aussagekräftige Ergebnisse bevorzugen. So landeten valide Studienergebnisse, die nicht publikationswürdig genug sind, oft ungenutzt in der Schublade. Dieser Verlust an Ideen, Daten und Interpretationsmöglichkeiten in der Wissenschaft habe auch Auswirkungen auf den Karriereweg junger Forschender, die auf erfolgreiche Publikationen angewiesen sind. Franzmeier betonte, dass Wagnis und Scheitern Teil der Lösungsfindung seien. Ein nachhaltiger Umgang erfordere Freiraum fürs Forschen.
PANEL EKEL & VERFALL
Im Panel EKEL & VERFALL hinterfragten die Referent:innen kulturelle Normen und Verhaltensweisen. „Welche Ästhetik steckt in einer schimmeligen Wand?”, „Was hat Verwesungsgeruch mit Kunst zu tun?” und „Wie entsteht Konsumekel?” waren zentrale Fragen, die das eigene Denken und Handeln kritisch hinterfragten.
Ina Jessen referierte über Dieter Roths Schimmelmuseum. Das Museum war von 1991 bis 2004 ein Ort für Kunst, die sich mit Verfall und Zersetzung beschäftigte. Der Künstler verwendete transformierende und prozessierende Materialien. Schimmel als Werkstoff leitete zu kunsthistorischen Fragestellungen wie etwa der normativen Struktur ästhetischer Wahrnehmung. Lebensmittel und Verfallsobjekte verändern sich sichtlich in Aussehen und Struktur. Roth selbst arbeitete und lebte an diesem sich stetig verändernden Ort und ging damit in die Kunstgeschichte ein. Auch nach dem Abriss des Schimmelmuseums gibt es mit dem Schimmelraum weiterhin einen Raum für die fortlaufenden Entwicklungs- und Zersetzungsprozesse vieler Objekte und Installationen. Roths Kunstwerke zeigen nachhallende Spuren von Zeit, Vergänglichkeit und Verfall.
Direkt im Anschluss konnten die Teilnehmenden die Faszination des Schimmels selbst erleben. Auf einer Leinwand stellte Rainer Binz ein Foto einer Schimmelwand mit dem Titel „Schimmel N°5“ aus, das er mit Monika Isler und Anja Runkel als Kulisse ihres Beitrags „Von der Schönheit des Schimmels und der Leere danach" nutzte. Dabei deckte das Trio die Widersprüche und Gegensätze der Schimmelbildung in der Bausanierung und im Denkmalschutz auf: Gilt Schimmel allgemein als Bedrohung und steht für Verwesung, Verderblichkeit und Gesundheitsgefährdung, ist dessen Beseitigung positiv konnotiert und wird kaum hinterfragt. Kehrseiten wie Giftigkeit der verwendeten Mittel oder Verlust an Neutralität und Substanz der Räume werden dabei genauso wie die Ästhetik und Vielfalt des Schimmels ignoriert. Die Leinwand vor Augen ermöglichte den Besucher:innen zumindest während des Symposiums einen neuen Blick auf die Schönheit des Schimmels.
In seinem Vortrag „Wider besseres Wissen?! Wann empfinden wir Flugscham und Konsumekel?" beschäftigte sich Tobias Weilandt mit dem Gefühl der Flugscham und des Konsumekels. Der Begriff der Nachhaltigkeit wird dabei oft als Spielverderber wahrgenommen, da er nicht nur ein rationales Konsumverhalten impliziert, sondern auch Verzicht. Obwohl Konsument:innen oft wissen, welche Produkte oder Inhaltsstoffe nicht nachhaltig sind, shoppen sie weiter, um sich selbst zu belohnen. Nach dem Kauf kann jedoch ein Gefühl der moralischen Verurteilung entstehen, da sie erkennen, dass man etwas Unnötiges gekauft hat. Solche Erkenntnisse können zu psychischem Ekel führen und dazu motivieren, das eigene Verhalten zu ändern. Ähnlich verhält es sich mit dem Phänomen der Flugscham. Trotz des Wissens über die Umweltauswirkungen von Flugreisen, erfreuen sie sich weiterhin großer Beliebtheit. Am Ende steht ein Selbstekel, der sich gegen das unkontrollierte Ich richtet und die Spirale beginnt von vorne.
PANEL ABHÄNGIGKEIT
Im Panel Abhängigkeit standen Beziehungsgeflechte von Menschen und Natur in Ritualen sowie zwischen Schöpfung und Zerstörung im Mittelpunkt. Welche Transformationsprozesse dabei nötig sind, erläuterten die Referent:innen u.a. anhand der Entwicklung des Oberhafenquartiers.
Der Vortrag von Monique Jüttner und Norman Sieroka beschäftigte sich mit den Themen „Ritual und Experiment“ und deren Potential, sozio-ökologische Beziehungen zu stärken und unsere Definition von Natur neu zu interpretieren. Sie stellten fest, dass industrielle Entwicklungen und die zunehmende Urbanisierung das Verhältnis von Mensch und Natur verändert haben und damit verbundene negative Auswirkungen auf die Umwelt haben. Traditionelle indigene Gemeinschaften haben durch wiederholte Rituale starke Beziehungen zu ihrem Lebensraum aufgebaut, während moderne Gesellschaften durch Experimente neue Praktiken entwickeln konnten, um Herausforderungen zu bewältigen. Die beiden sprechen darüber, ob Ritual und Experiment sinnvolle Ansätze sind, um eine neue Naturverbundenheit zu erreichen und unser Handeln nachhaltig zu verändern. Als Ansätze nannten sie zum Beispiel integrative Stadtlandschaften mit einem urbanen Ökosystem oder autofreie Tage. Im Anschluss folgte eine rege Diskussion mit den Teilnehmenden und Edda Ostertag von der TU Berlin.
Der Beitrag von Alexandra Schmitz „Schöpfung - Zerstörung: Evolution statt tabula rasa in der Architektur” behandelte das Thema der Anpassungsfähigkeit von Bauwerken. Sie betonte, dass Bauwerke, die flexibel sind und sich an geänderte Umweltbedingungen anpassen können, eine höhere Überlebenschance haben. Schmitz wies darauf hin, dass diejenigen Gebäude, die nicht angepasst werden können, zu symbolischen Denkmälern des Scheiterns werden. Wurden früher Städte oft immer wieder überbaut, besteht heute eher ein Zwang Ressourcen zu schonen und den Bestand umzunutzen. Anhand der Umwandlung des Oberhafens in ein Kreativquartier zeigte Schmitz, dass diese Transformation auch eine Anpassungsleistung der Nutzer:innen außerhalb der eigenen Komfortzonen fordert.
Zum Abschluss ließen die Organisator:innen das Symposium Revue passieren und brachten mit der Dekonstruktion der W|HALL OF SHAME die Nachhaltigkeitssünden der Teilnehmenden ans Tageslicht.