Yvonne Siegmund, Ina Jessen und Ulrich Bildstein
Hintergrund
Ausgangslage
Angesichts multipler, teilweise ineinander verwobener und sich verstärkender Krisen und sich verändernder Lebenswirklichkeiten steht die globale Gesellschaft vor großen Umwälzungen, die nachhaltige Lösungsansätze erfordern. Obgleich die Definitionen von Nachhaltigkeit im Detail, nach Motivation und Disziplin variieren, gibt es ein abstraktes Übereinkommen, das ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Handlungsprinzipien für alle formuliert: Ein schonender Ressourcen-Umgang bewahrt die natürliche Regenerationsfähigkeit und damit dauerhaft auch unsere Lebensgrundlagen. Um die heutige und künftige Bedürfnisbefriedigung breitenwirksam zu gewährleisten, sollen Produktion und Konsumption sowie Kosten und Nutzen vernünftig und sinnvoll abgewogen werden. Das Ziel ist ein gerechtes, lebenswertes Leben für alle Menschen zu ermöglichen (s.a. SDGs, Agenda 2030). Diese ambitionierten Ziele setzen den Willen und das Tun möglichst Vieler voraus. Sie implizieren zudem ein Win-win-win-Prinzip, in dem Natur, Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit global und dauerhaft im Gleichgewicht bleiben. Dieses Gleichgewicht wäre wünschenswert. Wir zweifeln dieses Konzept jedoch an, denn es setzt voraus, dass sich Staaten, Unternehmen und eine gesellschaftliche Mehrheit den global vorherrschenden kapitalistischen Strukturen widersetzen
Die blinden Flecken der Nachhaltigkeit
Hehre und vernünftige Ziele der Nachhaltigkeit konsequent einzuhalten scheint nahezu unmöglich, denn nachhaltiges Handeln bedeutet für jede:n informiert zu sein, rational, weit- und umsichtig zu handeln und sich der potentiellen Nebenfolgen des eigenen Handelns bewusst zu sein. Nachhaltigkeit kann zudem ambivalent sein (bspw. biologisch zertifiziertes Gemüse in Plastik; Citizen Science Kreuzfahrten in die Antarktis) und erkauft werden (z.B. wird Nicht-Nachhaltiges Handeln legitimiert, indem Flugreisen durch CO2-Zertifikate ‘ausgeglichen’ werden). Und: Nachhaltigkeit darf nicht zu sehr schmerzen. So gilt Elektromobilität beispielsweise als sauber, zerstört durch Rohstoffgewinnung jedoch großflächig Landschaften im globalen Süden und in den Batterien “der ökologisch korrekten Fahrzeuge” ist Kobalt verbaut, das aus Minen stammt, in denen Kinder arbeiten (vgl. Goepelt 2022).
Aktuelle Nachhaltigkeitsstrategien zielen oft darauf ab, nicht nachhaltiges Handeln räumlich zu verlagern und zeitlich aufzuschieben. Ressourcen-Raubbau, Umweltverschmutzung, Atomkraft ohne Endlager oder Überschuldung erscheinen dabei als ebenso relevante thematische Bezüge wie die Einstufung von Atomkraft und Erdgas als nachhaltig durch die EU-Kommission.
Warum werden in Nachhaltigkeitszusammenhängen Widersprüche, Hindernisse und Scheitern so selten transparent gemacht, diskutiert und skizziert, um eben diese zu abzumildern, zu beseitigen oder zu verhindern? So könnten wir uns darauf vorbereiten, welcher Verzicht und welche Kosten auf uns zukämen, aber eben auch, was wir bewahren und gewinnen könnten.
Unser Ansatz: Das dialektische Prinzip von und zu mehr Nachhaltigkeit
Die Ausgangsthese unserer Überlegungen ist, dass in den üblichen Nachhaltigkeitszielen blinde Flecken verborgen liegen. Diese blinden Flecken beschreiben die Kehrseiten von Nachhaltigkeit: zum Beispiel die Endlichkeit und das Aufhören, der Tod und der Verfall, der Konflikt und das Scheitern. (→ Abb.1 unten*) Statt von einem statischen Gleichgewicht, gehen wir von einem Balanceakt aus, den es gilt, immer wieder (neu) auszuhandeln und zu bewerten. Dazu ist es aus unserer Sicht notwendig, neben dem moralisch Guten auch die unangenehmen Aspekte von Nachhaltigkeit zu thematisieren.
Quellen
Goepelt, Manuel. 2022. “Mehr Licht in dunklen Lieferketten”. In: seventeen goals. Wie Menschen die Welt bewegen. Eine Sonderbeilage von Projekt 17 in Kooperation mit dem Zeitverlag. N2. 05. Herbst 2022. Hamburg, Berlin: Projekt 17 GbR.
BMZ. o. J. „Agenda 2030 | BMZ“. → https://www.bmz.de/de/agenda-2030
The 2030 Agenda for Sustainable Development: → https://sdgs.un.org/goals
Wir danken allen Unterstützer:innen: Dieses Projekt wird finanziert von der Andrea von Braun Stiftung, der Hamburg Research Academy, der Claussen Simon Stiftung sowie der Hamburger Klimaschutzstiftung mit der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) aus den Mitteln des #moinzukunft Hamburger Klimafonds.
Wir danken allen Unterstützer:innen: Dieses Projekt wird finanziert von der Andrea von Braun Stiftung, der Hamburg Research Academy, der Claussen Simon Stiftung sowie der Hamburger Klimaschutzstiftung mit der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) aus den Mitteln des #moinzukunft Hamburger Klimafonds.