Yvonne Siegmund
KRISENKOMPETENZEN?!
Mit diesem Beitrag aus der Stadtplanungsforschung spanne ich den Bogen zwischen meiner Dissertation über eine zeitbezogene Erforschung von Abhängigkeiten in Quartiersentwicklungen und den blinden Flecken der Nachhaltigkeit auf diesem Symposium. Die Verbindung bilden zwei kreative Quartiere. Denn u.a. Ängste & Hedonismus, Illusionen und Abhängigkeit sind Aspekte, von denen beide Orte seit vielen Jahren geprägt werden; das Scheitern und die Krise selbst führten überhaupt erst zu ihren Entwicklungen.
Multiple, miteinander verflochtene Krisen demonstrieren aktuell, wie komplex globale Abhängigkeiten sind und wie schnell Gewissheiten zerstört werden. Möglicherweise wird die Welt sich künftig schneller und umfassender „verwandeln“ (Beck 2017), gar „mutieren“ (Latour 2021:119) und noch unübersichtlicher werden. Dabei streben moderne Gesellschaften eigentlich nach Ordnung, Berechenbarkeit und Ausdifferenzierung. Ironischerweise produzieren sie damit neben neuen Unsicherheiten auch Uneindeutigkeiten. Je sicher etwas gewusst, ein- und ausgeschlossen, das Irrationale und Ambivalente eliminiert wird, desto größer ist das Nichtwissen und damit die Unsicherheit. (Vgl. Gamm 1997:35) Wie also lässt es sich leben und planen, wenn die Zukunft radikal offen ist?
Im Kontext allgemein wachsender Ungewissheit, genannter blinder Flecken und anderer Zumutungen sollten sich wohl besser Krisenkompetenzen angeeignet werden. Das gilt auch für Stadtplanungsprozesse, die nunmehr „bedingt planbar“ (Wüstenrot 2020) sind. Am Beispiel von zwei geplanten und gleichermaßen gewachsenen Kreativquartieren, dem Labor in München und dem Oberhafen in Hamburg, berichte ich über den Umgang mit, aber auch der Produktion von Unsicherheit und Uneindeutigkeit. Im Gegensatz zur klassischen, rationalen Stadtplanung, die mit der Fertigstellung des gebauten Raumes Ordnung und Stabilität herstellen will, wird in beiden Quartieren die Planungszeit gelebt. In einem Transformationsprozess wurden ein Kasernengelände und ein Güterbahnhofareal kreativ(-wirtschaftlich) und soziokulturell umprogrammiert und nun partizipativ auf unbestimmte Zeit weiterentwickelt. Jedoch sind beide Aushandlungsprozesse nicht als die üblichen Best Practices zu verstehen, die uns Erfolgsgeschichten versprechen. Erfolge gibt es dennoch – auf Planungsseite, auf der der Nutzenden und natürlich auch gemeinsame. Mindestens genauso beispielhaft, aber weitaus spannungsvoller, sind ihre „Schaukelprozesse“ (Siegmund 2020), in denen zwischen Konsens und Konflikten, Planungsroutinen und Experimenten, mit Emotionen zwischen Ängsten und Mut, Vertrauen und Skepsis, Verantwortung und Zumutung über Stadt verhandelt wird.
Quellen:
Beck, Ulrich. 2017. Die Metamorphose der Welt. Berlin: Suhrkamp Verlag.
Gamm, No Gerhard. 1997. „Die Flucht aus der Kategorie Die Unbestimmtheit der modernen Welt im Spiegel philosophischer Diskurse“. S. 35–63 in Ambivalenz Studien zum kulturtheoretischen und empirischen Gehalt einer Kategorie der Erschließung des Unbestimmten. Opladen: Leske + Budrich.Latour, Bruno. 2021. After Lockdown a metamorphosis. Oxford: Polity Press (Hg.).
Siegmund, Yvonne. 2020. „Was treibt die Planung? Eine zeitbezogene Untersuchung von Abhängigkeiten in Quartiersentwicklungen“. HafenCity Universität Hamburg.
Wüstenrot Stiftung (Hg.). 2020. Bedingt Planbar Städtebau und Stadtentwicklung in Deutschland und Europa. 1. Auflage. Ludwigsburg: Wüstenrot Stiftung.
About:
Yvonne ist in Wissenschaft und Praxis, in den Bereichen Architektur, Städtebau und Stadtforschung aktiv. Sie promovierte in der Stadtplanung und dechiffrierte in ihrer Arbeit mit Hilfe der Zeitlichkeit prozessuale und sozialräumliche Abhängigkeiten in Quartiersentwicklungen. Sie erforscht die Grenzen von Planung und Planbarkeit und insbesondere den Umgang mit Unsicherheit und Mehrdeutigkeit in der Stadtentwicklung – am liebsten in kreativen Quartieren.
Wir danken allen Unterstützer:innen: Dieses Projekt wird finanziert von der Andrea von Braun Stiftung, der Hamburg Research Academy, der Claussen Simon Stiftung sowie der Hamburger Klimaschutzstiftung mit der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) aus den Mitteln des #moinzukunft Hamburger Klimafonds.
Wir danken allen Unterstützer:innen: Dieses Projekt wird finanziert von der Andrea von Braun Stiftung, der Hamburg Research Academy, der Claussen Simon Stiftung sowie der Hamburger Klimaschutzstiftung mit der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) aus den Mitteln des #moinzukunft Hamburger Klimafonds.